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Multifokalgläser und Sturzrisiko: Sichtkomfort mit Nebenwirkungen

Multifokale Brillengläser gehören für viele Menschen ab dem mittleren Alter zum Alltag. Sie bieten eine komfortable Lösung, um sowohl im Nah- als auch im Fernbereich klar zu sehen – ohne zwischen verschiedenen Brillen wechseln zu müssen. Doch gerade für ältere Menschen können Multifokal- oder Bifokalgläser ungewollte Nebenwirkungen haben. Eine australische Langzeitstudie legt nahe, dass sich die Sehunterstützung unter bestimmten Umständen nachteilig auf das Sturzrisiko auswirken kann.

Multifokalgläser und Sturzrisiko: Sichtkomfort mit Nebenwirkungen

Studie zeigt Zusammenhang zwischen Sehkorrektur und Sturzgefahr

Im Rahmen einer einjährigen prospektiven Kohortenstudie untersuchte ein Forschungsteam um Prof. Stephen R. Lord die Auswirkungen von multifokalen Brillengläsern auf die visuelle Wahrnehmung und das Gleichgewicht älterer Menschen. Teilgenommen haben 156 Personen im Alter zwischen 63 und 90 Jahren. Davon verwendeten 87 regelmäßig multifokale Brillen, darunter sowohl Bifokal- als auch Gleitsichtgläser.

Erfasst wurden monatlich die Anzahl und Umstände von Stürzen, ergänzt durch Tests zur Kontrastempfindlichkeit und Tiefenwahrnehmung – insbesondere im unteren Gesichtsfeld, also beim Blick nach unten. Das Ergebnis: Die visuelle Leistungsfähigkeit in diesen kritischen Bereichen war bei Trägern multifokaler Gläser signifikant eingeschränkt.

Beeinträchtigte Wahrnehmung im unteren Sichtfeld als Risikofaktor

Die Analyse zeigte, dass besonders beim Blick durch die unteren Glasbereiche – etwa beim Gehen, Treppensteigen oder Navigieren auf unebenem Gelände – Kontrastwahrnehmung und Tiefenschärfe reduziert waren. Entferntere oder tiefer liegende Objekte erschienen unschärfer, die präzise Einschätzung von Abständen fiel schwerer. Diese Beeinträchtigungen beeinflussten die Trittsicherheit und führten zu häufigeren Stürzen.

In Zahlen: Die Wahrscheinlichkeit für einen Sturz war bei multifokal korrigierten Probanden mehr als doppelt so hoch wie bei Trägern von Einstärkengläsern mit Fernkorrektur (Odds Ratio: 2,29). Besonders ausgeprägt war das Risiko bei Aktivitäten außerhalb der eigenen Wohnung und beim Treppensteigen.

Multifaktorielle Sturzursachen – Sehkorrektur als ein Baustein

Stürze im Alter sind ein vielschichtiges Phänomen. Neben motorischen Einschränkungen, Gleichgewichtsstörungen und neurologischen Faktoren spielt die visuelle Wahrnehmung eine zentrale Rolle. Eine verminderte Sehschärfe, eingeschränkte Kontrastsensitivität und fehlende Tiefenwahrnehmung gelten als anerkannte Risikofaktoren. Insbesondere multifokale Korrekturgläser können die visuelle Wahrnehmung in Bewegungssituationen verändern – oft subtil, aber mit potenziell gravierenden Folgen.

Die Ergebnisse der Studie fügen sich ein in eine wachsende Zahl von Forschungsergebnissen, die den Zusammenhang zwischen Sehleistung und Sturzgefahr bei älteren Erwachsenen dokumentieren.

Handlungsempfehlungen für den augenoptischen Alltag

Für Augenoptiker sowie betreuende Augenärzte ergibt sich daraus eine wichtige Aufgabe: Die individuelle Lebenssituation älterer Kunden sollte bei der Wahl der Sehhilfe stärker berücksichtigt werden. Wer regelmäßig in Bewegung ist, etwa spazieren geht, wandert oder Treppen steigt, könnte von einer temporären Umstellung auf Einstärkengläser mit Fernkorrektur profitieren – zumindest in aktiven Situationen außerhalb des Hauses. Für sitzende Tätigkeiten oder das Lesen bleibt die multifokale Lösung weiterhin vor diesem Hintergrund natürlich sinnvoll.

Zudem sollte regelmäßig überprüft werden, ob die eingesetzten Gläser den aktuellen Sehbedürfnissen noch gerecht werden. Auch eine gezielte Aufklärung über mögliche Einschränkungen der Tiefenwahrnehmung kann zu einer bewussteren Nutzung beitragen. Bei bestehenden Risikofaktoren – etwa Sturzvorgeschichte, Gleichgewichtsstörungen oder kognitiven Beeinträchtigungen – kann die Empfehlung zur Anpassung der Sehhilfe einen Beitrag zur Sturzvermeidung leisten.

Multifokalgläser bleiben ein wichtiges Hilfsmittel für viele ältere Menschen, erfordern jedoch eine differenzierte Betrachtung im Hinblick auf das Sturzrisiko. Da sie insbesondere die Wahrnehmung im unteren Sichtfeld beeinträchtigen können, ist ihr Einsatz in bestimmten Alltagssituationen mit Vorsicht zu bewerten. Eine individuell angepasste Sehhilfe – vor allem bei aktiven Senioren – sowie regelmäßige augenoptische Kontrollen leisten einen wichtigen Beitrag zur Sturzprävention.

Quelle: Lord, SR: multifocal glasses impair edge-contrast sensitivity and depth perception and increase the risk of falls in older people, Zeitschrift: JOURNAL OF THE AMERICAN GERIATRICS SOCIETY, Ausgabe 50 (2003), Seiten: 1760-1766